Okay – das muss ich zugeben: Vom Dortmunder Stadtzentrum als downtown zu reden, ist ein bisschen übertrieben. Ich meine, es ist hier nun wirlich nicht so lebendig, dass man von einem schieren Übermaß an „Großstadtmelodie“, „Tanz der Leuchtreklamen“ und „Neonschein“ reden kann, wie es Petula Clark vor über fünzig Jahren so nett besungen hat. Was hier die ganze Fußgängerzone darstellt, das ist in Hamburg nur eine Nebenstraße vom Bleichenviert oder in Berlin die zweite Reihe vom Kurfürstendamm. Selbst auf der langweiligen Kö in Düsseldorf ist mehr los. Das soll auf der anderen Seite jedoch nicht heißen, dass es hier langweilig ist:
Lütt un Lütt
Neulich bin ich in der Spielwarenabteilung eines großen Kaufhauses unterwegs gewesen, ein Geschenk aussuchen. Als ich so vor dem Regal stehe und überlege, was ich kaufen soll, kommt eine Mutter mit ihrem Sohn vorbei, drei oder vier Jahre alt. Also, der Sohn – nicht die Mutter.
Der kleine Bengel hat eine regelrechte „Reizüberflutung“von dem ganzen Spielzeug. Er weiß gar nicht, wo er zuerst hingucken soll. Um einer Kollision aus dem Weg zu gehen, drücke ich mich so dicht wie möglich an das Regal vor mir ran, bis ich fast auf der anderen Seite wieder rauskomme. Und doch bekomme ich einen festen Tritt mit Sneakers, Schuhgröße sechsundzwanzig, in die Hacken. Ich sage aber nichts. Tut ja nicht weh, von so einem kleinen Kerl.
Mutti hat das trotzdem mitbekommen und sagt: „Mensch, Jakob, latsch dem Mann doch nicht auf die Füße. So klein ist der nun auch nicht.“
Also, was will sie nun damit gesagt haben? „So klein“ – und dann mit dieser bsonderen Betonung auf dem „So“…? Ich weiß ja, dass ich mit eins dreiundsiebzig nicht so ein stattliches Mannsbild wie Bobby Cannavale oder Joe Manganiello bin, aber das ist dann doch fast schon eine Frechheit!
Versuchen kann man das ja mal!
Es ist schon eine Weile her, da hat mich ein Obdachloser angequatscht. Die meisten fragen einen ja bloß nach etwas Kleingeld oder einer Zigarette, aber dieser Mann, er muss so ende Vierzig gewesen sein, fing gleich damit an, mir seine ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Bloß sind ihm dabei die Pferde durchgegangen, denn das ist alles einfach zu viel und zu verrückt für ein ganzes Menschenleben gewesen.
Dann hat er auch noch davon angefangen, dass er auch Teilnehmer der Hausbesetzungen in der Hafenstraße und der wilden Bauwagenplätze in Hamburg gewesen ist. Sein Pech, dass ich in Hamburg so gut Bescheid weiß. Der Bauwagenplatz Bambule hat sich nun wirklich nicht auf dem Hof der Schilleroper befunden, sondern im Karolinenviertel.
Mit einem Satz: Es ist alles erstunken und erlogen gewesen.
Trotzdem habe ich ihm zwei Euro gegeben. Mit Kreativität und Originalität kriegt man mich immer!
Fairplay
Ich hab‘ ja so ein großes Herz für Schiffe und die Fahrensleute auf See. Besonders gern mag ich Fährschiffe. Alle drei Monate kommt eine Zeitschrift über Fährschiffe raus, die man hier in Dortmund bloßn am Bahnhof bekommt. Das Blöde ist: Weil da kein professioneller Verlag hinterstaht, sondern das Ding quasi das Mitgliedermagazin für einen Verein ist, das auch von anderen Menschen gekauft werden kann, gibt es keinen festen Termin. Pi mal Daumen kann man sagen, dass das Heft irgendwann in der letzten Woche vom alten Quartal oder in der ersten Woche vom neuen Quartal in den Regalen ist. Das sind dann bis zu zwei Wochen, in denen ich jeden Tag zum Bahnhof und schauen muss, ob das Heft nun da ist.
In dieser Woche bin ich an einem Tag aus dem Zeitungsladen raus (ohne das Fährschiffheft, ist nämlich noch nicht dagewesen), da gibt es auf einmal ein großes Theater in der Bahnhofshalle. Zwei Polizisten haben einen Ganoven hochgenommen. Der hat sich ziemlich gewehrt, so dass die Polizisten ihn richtig zu Boden haben ringen müssen. Am Ende haben sie fast auf ihm gesessen. Genau da kommt eine alte Frau vorbei, so eine Mischung aus Inge Meysel und Miss Marple. Sie schaut sich das einen Moment an, wie die Polizisten sich mit dem Ganoven abmühen, sagt dann „Zwei auf einen ist feige!“… und geht weiter als wäre nichts gewesen.
Siehste? Wenn du Augen, Ohren und Nase weit offen hältst, kannst du auch in einer nicht ganz so großen Stadt ’nen ganzen Berg spannendes Zeug erleben.