Halbe Portion

Als Kind hat man es wirklich nicht leicht, ein gesundes Selbstbewusstein in Bezug auf die Körpergröße zu entwickeln. Sogar jene, die wirklich zu den ordentlichen Kaventsmännern in ihrer Altersklasse gehören, kriegen oft genug einen Spruch zumindest von Onkeln und Tanten gedrückt, die sich mit Sentenzen wie „Na, du Dreikäsehoch?“ oder „Hey, Kurzer!“ für ganz besonders witzig halten.

Lustig wird’s dann noch in der Schule, wenn man einen nicht ganz alltäglichen Nachnamen hat. Gerade in den 1980ern erfreute sich ja die Spirituose Apfelkorn einer besonderen Beliebtheit. Da konnte ich noch so betonen, dass mein Nachname ü-ber-haupt nichts mit dieser äußerst schmackhaften Baumfrucht zu tun hat. „Appel“ ist in diesem Fall eine Verballhornung von Albrecht, wobei bis heute ungeklärt ist, welches Recht man denn nun inne hatte, wenn man ein Albe war oder „alben“ durfte. Vielleicht war der Gründungsvater meiner Familie auch nur ein in Ungnade gefallener Hobbit. Man weiß es nicht.

Meine nicht gerade stattliche Körpergröße trug ihr Übriges dazu bei. Ich war demnach nicht nur der „Appelkorn“, sondern das „Appelkörnchen“. Und als ob das nicht genug gewesen wäre, hatten wir auch noch einen Klassenkameraden, der mich ebenso wenig leiden konnte wie ich ihn. Trotzdem waren wir dank unserer Mitschüler als eine Einheit bekannt. Sein Nachname war nämlich identisch mit dem jener mit dem Buchstaben B beginnenden Firma, die den am meisten verbreiteten Apfelkorn herstellte. Den Rest überlasse ich der Phantasie des geneigten Lesers und seiner Erinnerung an das Werbejingle, mit dem besagter Spirituosenhersteller die Werbeblöcke zwischen Ein Colt für alle Fälle und den heute-Nachrichten gefüllt hat.

Aber das trug ich alles mit Fassung. Denn die wahre Demütigung waren stets (zumindest zu der Zeit, als ich solche Exkursionen noch nicht alleine unternehmen konnte) Fahrten mit dem Linienbus. Diese schönen alten Dinger der 70er und 80er mit Motoren lauter als ein russischer Panzer und Kunstledersitzbezügen in popelgrün, die gerade im Sommer mit kurzen Hosen ein ganz besonderes Vergnügen waren. Wer da nicht am eigenen Leib erfahren wollte, wie sich Schweinshaxen auf dem Grill fühlen müssen, blieb lieber stehen, und wenn die Fahrt auch noch so lang war!

Besagter Lininbus fuhr nur zu den Werktagen im 30-Minuten-Takt, am Wochenende nur jede Stunde. Und selbst dann musste man quasi immer noch ein lebendiges Karnickel auf die Straße werfen, damit das Ding überhaupt anhielt.

Nun bin ich in einem Dorf großgeworden, in dem jeder jeden kannte. Es war also immer mindestens ein bekanntes Gesicht im Bus, wenn man selber unterwegs war. Meist irgendeine Nemesis, mit der man eh nicht auf bestem Fuß stand. Ausgerechnet dann trompetete Muttern (oder Oma oder Tante oder sonstein Musterexemplar preußischer Erziehung) ihre Fahrkartenbestellung am allerlautesten durch den Bus: „Anderthalb zum Marktplatz!“

Anderthalb. Andert-halb!

Wer mit „halb“ gemeint war, muss ich wohl nicht extra erwähnen!

Da ließ ich mich dann doch lieber von meinen Mitschülern zum inoffiziellen Werbeträger für einen Schnaps erklären.

 

 


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