Treppenhäuser for Future

Flurwoche, Treppenwoche, Scheuerwoche, Große Hausordnung, „Der lästige Scheiß“ – es gibt Dutzende Begriffe für eines der urdeutschesten Riten, nämlich die allwöchentliche Reinigung des Hausflures. Schwäbische Hausfrauen haben es darin zu unerreichter Perfektion gebracht, und im hohen Norden sind ganze Theaterstücke darüber geschrieben worden, in denen sich Leute unter anderem darüber auslassen, dass sie es als Beamtenfrauen nun wirklich nicht nötig haben, für ihre säumigen Nachbarn den Schietenkleier zu spielen.

Nun bin ich zwar auch Beamten… äh…

-gatte, aber für mich steht von vornherein fest, dass ich mir nicht zu schade bin, für andere den Schietenkleier zu spielen. Putzen ist eine ehrliche Arbeit, und die schändet bekanntlich nicht. Deswegen habe ich inzwischen drei Treppenhäuser „unter mir“, wie man so sagt. Mit dem einen hat man mehr Arbeit, mit dem anderen weniger. Der eine Hausbewohner vergisst jeden Freitag, seine Schuhe zwischen 14 und 15 Uhr reinzustellen, wenn ich Feudel und Leuwagen schwinge, der andere latscht ständig durch den frisch gewischten Flur – ohne sich vorher die Schuhe auf der Fußmatte abzuputzen, versteht sich. Dafür hält Nummer 3 stets eine kleine Tafel Schokolade, einen Muffin oder ein Überraschungsei parat, und Nummer 4 freut sich, dass ich auch immer die Zeitung aus dem Briekasten mit in die dritte Etage bringe, ihre Knie wollen ja nicht mehr so.

Manchmal trage ich ihr auch die Einkaufstaschen hoch. Stolz zeigt sie mir dann ihr beeindruckendes Arsenal von umweltfreundlichen Stoff beuteln. Jute statt Plastik hatten wir vor fünfunddreißig Jahren schon mal, doch erst jetzt scheint es richtig damit zu laufen. Inzwischen machen es ja auch mehr oder weniger alle. Viele von denen spüren ob ihrer guten Tat die Greta Thunberg in sich und scheinen zu meinen, dass es damit getan ist.

Ernsthaft?

Dann schauen wir doch noch mal genauer in diesen ausrangierten Präsentkorb oder in was immer wir das ganze Gedöns zwischenlagern, das sich in den sieben Tagen zwischen zwei Putzaktionen auf der Eingangstreppe und/oder in den Briefkästen anhäuft:

  • 14x Flyer [ ] vom Sushi-Laden, [ ] von der Pizzeria, [ ] vom Inder, [ ] vom Fahrradladen, [ ] vom Gitarrenlehrer, [ ] für den kommerziellen Trödelmarkt, [ ] vom neuen Altenheim und so weiter. Zutreffendes bitte ankreuzen, Mehrfachnennungen möglich. (Es können auch mal nur 8, in anderen Wochen dafür über 20 Flyer sein, es wird höchst selten passgenau pro Haus abgezählt)
  • 7x „Wir kaufen Ihr altes Auto!“-Visitenkarten (Ist der schöne Brauch, die Dinger gleich an die Fensterdichtung auf der Fahrerseite des vom potentiellen Ankäufer begehrten Vehikels zu klemmen, ausgestorben?)
  • 10x Flyer von einem Hörgeräteakustiker (Vielleicht kann zumidest ein Hausbewohner von sich behaupten „schlecht hören kann ich gut“!)
  • 10x Anzeigenblättchen vom letzten Mittwoch (Mit kaum nachweisbarem redaktionellem Inhalt, dafür dafür umso vollgestopfter mit Prospekten von fünf Supermärkten, drei Baumärkten und zwei Möbelmärkten, die allesamt natürlich auch ihre eigene App für Sonderangebote haben!)
  • 10x Anzeigenblättchen vom letzten Sonnabend (dito)

Last but not least:

  • 11x die mit der Post ausgetragene Prospektsammlung, die – Scheiß was auf die Initiativen zur Vermeidung – immer noch in Plastik eingeschweißt wird.

Lackpapier, gebleichtes Papier, bunt bedruckt, in Plastik verpackt, mit Metallklammern oder chemischem Kleber zusammengehalten und was weiß ich, welche Materialien da noch verwendet werden. All das wird aus den Briefkästen rausgerupft, um bei der nächsten Scheuerwoche ungelesen entsorgt zu werden. Was für eine Ressourcenverschwendung, vom CO2-Fußabdruck gar nicht erst zu reden.

Dabei spreche ich nur von der durchschnittlichen Ausbeute einer gewöhnlichen Mietskaserne mit 10 Wohneinheiten in einem Altbauviertel von Dortmund, die ich noch nicht auf die gesamten Haushalte im Land hochgerechnet habe.

Also, wer jetzt noch behauptet, dass Fridays for Future & Co. nicht wichtig und sinnvoll sind, dem kann ich auch nicht helfen.