Das mach ich doch mit links!

„Immer das schöne Händchen geben.“

Düwel ook, was habe ich als Kind diesen Satz gehasst, wenn ich ihn – meist von ältlichen Tanten – um die Ohren gehauen bekommen habe. Als noch recht lütter Buttscher konnte ich einfach nicht verstehen, was an meiner linken Hand hässlich sein sollte. Sie war doch nur das gespiegelte Pendant zu meiner rechten: Sie konnte genau so gut Besteck bei Tisch halten, das Zähneputzen funktionierte bestens, und beim Nasebohren war der linke Zeigefinger auch nicht weniger effektiv als der rechte. Warum wurde man also als „unartig“ betrachtet, ja sogar fast schon als schlechterer Mensch, wenn man mit der linken Hand grüßte?

Der zweite blöde Spruch aus meiner Kindheit war „Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben“. Ich gehöre zu einer der letzten Generationen, für welche die beiden genannten Sprüche eine ungute Kombination eingingen. Als Linkshänder wurde ich bei der Einschulung 1979 nämlich dem (damals zum Glück schon im Aussterben begriffenen) Programm der rigorosen Umerziehung unterworfen. Dazu gehörte zum Beispiel, dass im ersten und zweiten Schuljahr meine Schreibtafel erbarmungslos wieder blankgewischt wurde, wenn ich es gewagt hatte, beim Schreiben den Griffel mit der linken Hand zu führen.

Meinen Eltern mache ich da keinen Vorwurf – die sind noch preußischer als ich erzogen worden und damit in dem profunden Irrglauben, dass ein Lehrer immer Recht hat.

Wie viele meiner Leidensgenossen habe ich dadurch nie eine Handschrift entwickelt, die durch besondere Schönheit hervorgestochen ist. Um einen Spruch meiner Schwester aufzugreifen: Vom Grips her mag’s nicht gereicht haben, aber von der Sauklaue her müsste ich eigentlich Arzt sein. Das hat mir während meiner Schullaufbahn bisweilen sogar Punktabzug wegen Unleserlichkeit in Klausuren eingebracht. Folglich wäre ich in meiner IHK-Abschlussprüfung am Ende der Ausbildung beinahe mit der Zeit nicht ausgekommen, weil ich so übertrieben sorgfältig mehr gemalt als geschrieben habe, damit mir hier die Sache mit dem Punktabzug auf gar keinen Fall passieren konnte.

Glücklicherweise ist man im Laufe der Jahrzehnte immer mehr dahinter gekommen, dass Linkshänder zu sein nun wirklich kein Beinbruch (ha-ha-ha) ist. So hat sich bisher noch nie jemand daran gestört, dass ich beim Umgang mit Küchenutensilien nach wie vor meine angeborene Linkshändigkeit auslebe – es war das genaue Gegenteil, was mich beinahe eine Fingerkuppe gekostet hätte. Mit dem linken Zeigefinger ausgelöste Fahrstuhlfahrten sind immer in der richtigen Etage angekommen, Zugtüren haben sich zuverlässig, geöffnet, Omas Goldfische bei der alljährlichen Teigreinigung habe ich mit der linken Hand schneller rausgefangen als jeder andere, und beim Händeschütteln regt sich längst niemand mehr auf, denn die linke Hand kommt ja bekanntlich von Herzen.

Das so ziemlich Einzige, was stets mit der rechten Hand erledigt wird/wurde, blieb neben dem Bedienen der PC-Maus (die ergonomisch geformten Dinger für Linkshänder müssen in Platin aufgewogen sein, anders kann ich mir die Preise nicht erklären) und eben das Schreiben per Hand.

Mein Mann hat sich in einundzwanzig gemeinsamen Jahren an die eigenwillige Optik meiner Handschrift gewöhnt und kann von mir geschriebene Einkaufszettel inzwischen fehlerfrei in ihm verständliche Wortfolgen übersetzen.

Apropos Einkaufszettel. Die verschwinden bei uns mit ebenso schöner Regelmäßigkeit wie die Kulis, mit denen wir sie verfassen. Deswegen sind wir kürzlich dazu übergegangen, sie auf einer Tafel am Küchenschrank zu notieren. Als wir damit anfingen, stand ich im ersten Moment wie Ochs am Berge vor vor dieser schwarzen Fläche. Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie ich das Kreidestück zu Schul- und Ausbildungszeiten gehalten habe, die immerhin dasgehteuchgarnichtsan-zig Jahre her sind. Zaghaft probierte ich es mit der linken Hand. Das klappte gut. Sogar so gut, dass mein Mann bezweifelte, die Einkaufsliste sei von mir geschrieben worden. „Dazu kann man sie viel zu gut lesen!“

Neugierig probierte ich es mit der rechten Hand. Das sah im Vergleich mit dem linkshändigen Schriftbild einfach katastrophal aus!

An diesem Tag habe ich angefangen, mir nach vierzig Jahren wieder das linkshändige Schreiben anzutrainieren. Seitdem ist meine Klaue nicht nur deutlich lesbarer geworden, ich mag sie sogar.

Was mich mich zu dem bekannten Sprichwort „Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben“ zurückbringt. Nur ist in diesem Fall die mindestens ebenso bekannte Verballhornung „Nicht für die Schule lernen wir, sondern für die Katz“ die treffendere Aussage.

 

 


Hinweis: Die Titelgraphik dieses Beitrags stammt aus dem Pool frei verwendbarer Bilder von Pixabay..