Schiff ahoi!

aus der Reihe ›Urlaub in den 70ern und 80ern‹

Kennt ihr noch Butterfahrten? Das war früher bei einem Urlaub an der Ostsee nicht wegzudenken. Sich einmal für ein paar Stunden wie die feinen Leute beim Traumschiff fühlen, mit ’nem schnittigen weißen Schiff zur See fahren und dabei auch noch billig einkaufen, weil das Schiff in Internationalen Gewässern gefahren ist, und da hast du auf deinen Einkauf keinen Zoll und keine Steuern zahlen müssen.

Ich weiß, wovon ich rede – ich bin da in meiner Kinderzeit oft genug mitgefahren!

In den ganzen Kurorten an der Ostsee hat es damals ein zentrales Reisebüro gegeben. Außerhalb der Saison hast du als Einheimischer bloß deinen eigenen Urlaub irgendwo im Süden gebucht. Innerhalb der Saison ist das dickste Geschäft mit den Touris gemacht worden: Ganztägige Ausflüge zum Freizeitpark in der Nähe, rüber nach Sylt – oder die „Zwei Meere Tour“ mit dem Bus nach Hohwacht, Eckernförde, Husum, St. Peter Ording und wieder zurück.

Oder du hast halt ’ne Butterfahrt klargemacht. Ein, zwei Tage später ging das so gegen neun Uhr morgen hin zum Reisebüro und rein in einen Bus, den sie mit dir und rund dreißig anderen Leuten vollgepackt haben. Dann ging es entweder nach Travemünde, Flensburg, Heiligenhafen oder – da sind wir immer hingefahren – Burgstaaken auf Fehmarn. Eine gute halbe Stunde on the road.

In Burgstaaken angekommen, ist dir erstmal die Luft weggeblieben. So viele Leute! Natürlich sind auch aus den anderen Kurorten längs der Küste und aus der Holsteinischen Schweiz rangekarrt worden. Auf der Pier hat es ausgesehen, als wolle man einen Auswandererdampfer vollkriegen. Nur – das Butterschiff ist gerade mal einen Bruchteil so groß gewesen. Und „groß“ ist hier ein relativer Begriff: Sechsundsechzig Meter lang und elf Meter breit ist die MS Poseidon gewesen, mit der wir immer gefahren sind!

Jedenfalls sind die Butterschiffe vollgepackt worden, bis das vom Schiffs-TÜV zugelassene Limit restlos ausgenutzt gewesen ist. Und dann: „Leinen los!“

Beim Ablegen sind die Leute erstmal rauf auf das Sonnendeck und auf die zur Pier weisende Seite rüber. Winken zum Abschied. Das hat natürlich bannig Schlagseite gegeben. Eigentlich ist es ein Wunder, dass diese kleinen Nussschalen von Schiffen niemals noch im Hafen gekentert und mit Mann und Maus abgesoffen sind. Wenn du das zum ersten Mal miterlebt hast, sind dir auf allen Schlag alle Gebete an den heiligen Christophorus wieder eingefallen – und du hast sie auch aufgesagt!

Einmal auf hoher See, sind die Passagiere ruhiger geworden – ein bisschen was trinken, essen, plauschen, das Gefühl einer Seereise genießen.

Von Burgstaaken aus sind die Butterschiffe meist nach Rødbyhavn geschipptert. Eine Stunde längs der Ostküste von Fehmarn, und dann noch eine Stunde quer über den Fehmarnbelt bis zu diesem Hafen in Dänemark. Da sind die großen Fährschiffe aus Puttgarden auch hingefahren, darum hat es auch etwas zu sehen gegeben. Manchmal hat das Butterschiff auch warten müssen bis die Einfahrt frei gewesen ist, denn auch heute noch hat eine Fähre immer Vorfahrt.

Butterschiffe in Rødbyhavn

Wenn das Butterschiff dann in den Hafen durfte, ist es ganz langsam an den Anleger ran. Der Bootsmann hat die Tampen zum Festmachen ausgeworfen. Der dänische Festmacher an Land hat sie sich gegriffen, einmal um den Poller gewickelt und bis drei gezählt. Dann hat er die Tampen wieder losgemacht, der Bootsmann hat sie eingeholt und das Schiff ist wieder raus auf See. Liegezeit: Nicht mal eine Minute!

Denn, liebe Freunde, diese Butterfahrten sind vor allem eins gewesen – ein verdammt großes Geschäft! Darum ist eine Butterfahrt immer bloß so lang wie vom Zollgesetz her nötig und so kurz wie möglich gewesen, damit so’n Schiff öfter als bloß einmal am Tag rausfahren konnte!

Auf dem Weg zurück nach Burgstaaken ist dann endlich das gemacht worfen, wofür die Leute überhaupt erst gekommen sind: Zollfrei einkaufen! In den kleinen Einkaufsläden an Bord ist das schlimmer zugegangen als bei Aldi, wenn es wieder billige „Hülpsbrägen“ (plattdt.: Hilfsgehirne = Computer) gibt! Ein Gedrängel und Geschiebe! Und ein Gebölke: „He, Sie da! Legen Sie mal schön die letzte Tafel Marabou-Schokolade wieder hin! Die wollte ich mir gerade nehmen!“

Es ist aber auch besonnener zugegangen. Wenn zwei oder drei Mitglieder einer Familie gemeinsam unterwegs gewesen sind, sind sie manchmal kurz beiseite getreten und haben sich etwas zugeflüstert. Dabei haben sie sich vorsichtig umgeschaut und aufgepasst, dass niemand etwas davon mitbekommt. So wie die Spitzbuben in einem Ganovenfilm.

Nach insgesamt vier Stunden ist das Schiff dan wieder zurück in Burgstaaken gewesen. Dann kam der spannendste Teil: Durch den Zoll durch, Spießrutenlauf an den  Zollbeamten vorbei. Wen picken sie sich wohl raus? Wer sieht aus, als hätte er ein schlechtes Gewissen? Die Busfahrer sind immer dankbar gewesen, wenn’s keinen aus ihrem Bus erwischt hat. Auf den mussten sie ja warten, und dann sind die anderen Passagiere irgendwann aufgebracht gewesen.

Meistens ist es aber gut gegangen und der Bus ist pünktlich zurück in den Urlaubsort gefahren. Der Hafen ist quasi noch in Sicht gewesen, da hat sich dann herausgestellt, worum es bei dem Flüstern und Getuschel in dem Laden an Bord gegangen ist: Die „Beute“ ist aufgeteilt worden!

Nein, nicht, was ihr jetzt denkt! Da ist nix geklaut worden! Aber die Kontingente, was du zollfrei mitbringen durftest, sind verteilt worden. Omma hat sämtliche Pakete Butter bekommen, die nicht bloß sie, Oppa, Pappa und Muddi gekauft hatten. Dafür hat Muddi gleich drei Parfums eingesackt, Oppa hat von drei Leuten Tabak bekommen, und am Allerwichtigsten: Die Mannsleute haben die  Spirituosen brüderlich geteilt. Vier Leute = zwei Flaschen schottischen Whisky für Pappa, zwei Flaschen Doornkaat für Oppa. Natürlich ist dann erstmal eine Qualitätsprobe genommen worden. Im Bus. Einfach so. Ein großer Schluck gleich aus der Buddel. Und dann noch einer. Vielleicht auch noch ein dritter. Pappa und Oppa sind nicht die einzigen gewesen, die am Ende mit einem Kleinen in der Krone aus dem Bus raus sind… Die anderen Leute haben es ganz genau so gemacht!

Apropos Spirituosen -in Dänemark sind die Schiffe aus Deutschland übrigens nicht „Butterschiffe“ genannt worden. Dort hat man „Spritbåde“ gesagt – „Spirituosendampfer“. Und als Zeitzeuge kann ich euch sagen, dass das näher an der Realität gewesen ist als der deutsche Name!


Außerdem in dieser Reihe:

Komm kein bisschen mit nach Italien – Die Suche nach einer geeigneten Unterkunft

Wie man sich bettet… – Über die Ausstattung einer Ferienwohnung in den 1970ern