Hey, Taxi!

Wann ich zum ersten Mal einen Mercedes Diesel gestartet habe, weiß ich wirklich nicht mehr. Wahrscheinlich war ich so um die zehn oder elf. In unserem nicht gerade kleinen Clan gab es nämlich ein Taxiunternehmen, und dort hat meine Omma jahrzehntelang jeweils am Wochenende in der Zentrale gesessen und Funkgeräte und Telefone bedient. Für mich als ausgesprochenes Ommakind war es daher völlig normal, dass auch ich mindestens einen Tag meiner Wochenenden vorzugsweise auf dem Gelände der ehemaligen Tankstelle und Autowerkstatt verbrachte. Wenn meine Freunde ins Kino gingen oder gemeinsam mit ihren Vätern die Fußballübertragung im Radio hörten, während sie dabei den Gartenzaun strichen oder ihr Angelzeug putzten, hielt ich mich lieber zwischen Taxifahrern auf, die in ihrer Pausen kaffeetrinkend und zigarettenrauchend im Aufenthaltsraum saßen und dabei so literarisch anspruchsvolle Magazine wie Praline oder die St. Pauli Nachrichten voll barbusiger Schönheiten „lasen“. Natürlich konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und habe in unbeobachteten Momenten selber mal darin geblättert, fand das ganze aber bemerkenswert langweilig. Erst viel später erkannte ich das zugehörige Warum.

Meistens war ich ohnehin bei Omma im Funkraum und sog begierig auf, wie sie Telefonate annahm und über Funk die Taxis quer durch die Stadt scheuchte. Wenn mal ein eher unbekanntes Ziel auftauchte, kletterte ich auf den stabilen Schreibtisch und suchte es auf dem 3 x 2 Meter großen Stadtplan raus oder ermittelte Adressdaten über die stets auf neuestem Stand gehaltenen Ausgaben von Telefonbuch und Gelbe Seiten. So kam es auch, dass ich schon mit zwölf sämtliche schmierigen Pinten und Puffs der Stadt kannte. Also, ähm… nicht von innnen, versteht sich. Genau genommen nicht mal von außen. Nur, wo sie auf dem Stadtplan zu finden waren. Aber das Andere klingt so schön verrucht, nicht wahr?

Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, aber damals, also vor mehr als dreißig Jahren, waren Autos noch so gebaut, dass man an fast allem selber herumschrauben konnte und nicht nicht wegen jedem kleinen Quietschen gleich in die Werkstatt musste. Das war für so ein Taxiunternehmen sehr praktisch, denn an einem regelrechten Wagenpark gibt es immer etwas zu schrauben, tauschen und auszubessern, und darum war bei uns lange ein eigener Kfz-Mechaniker beschäftigt. Bei dem lungerte ich auch manchmal rum. Allerdings nur dann, wenn er die Wagen wusch oder nur etwas an der Elektrik zu tüddeln hatte. Um Ölwechsel & Co. machte ich einen Riesenbogen; alles, wobei man sich dreckig machten konnte, war für mich Igittigittpfuideibelbäh. Gewisse Klischees über Gays habe ich halt schon sehr früh erfüllt.

Aber wenn der Mechaniker auf dem Fahrersitz saß und etwa die Verkabelung des Zigarettenanzünders reparierte, saß ich meist neben ihm und sah zu. Irgendwann zeigte er mir dann, wie man so einen dicken Mercedes, den letzten Strich-Achter in der Flotte, anließ. Dazu gehörte auch das Vorglühen, was für Diesel irgendwie wichtig war, heute jedoch nur noch vorrangig als einleitender Teil eines Saufgelages bekannt ist.

Auch sonst war ich viel von Autos umgeben. Omma und Opa luden in regelmäßigen Abständen zur Ausfahrt mit ihrem eigenen Mercedes, meine Eltern unternahmen natürlich auch Ausflüge mit uns, und auf Familienfeiern redeten die männlichen Gäste von nichts anderem als Hubraum, PS, Einspritzpumpen, Reifendruck et cetera. In den Folgejahren bin ich im Ferrari durch das Münsterland geflitzt. Ich habe in einem Krankenwagen gesessen. Bin mit einem Büssing 4000 Omnibus im Messeverkehr unterwegs gewesen und habe ein Nutzfahrzeug mit Hebebühne überführt. Und ich habe in einem LKW von 1962 Blut und Wasser geschwitzt, weil das Teufelsding an einer roten Ampelkreuzung wegen seines völlig anderen Bremsverhaltens als ein moderner Truck für meinen Geschmack viel zu spät zum Stehen kam.

Heute wohne ich in einem Szeneviertel Dortmunds und bin ständiger Beobachter des Kampfes um Parkplätze aus nächster Nähe. In einer gut situierten Gegend, wo viele Haushalte über mindestens zwei Autos verfügen, führt das mitunter zu Szenen, gegen die das brutale Balzverhalten von Enten geradezu gemütlich daherkommt. Ganz besonders schlimm wird es, wenn im nahegelegenen Westfalenstadion oder in den Westfalenhallen Veranstaltungen stattfinden. Dann stapeln sich die Autos regelrecht.

Bei einem so von Autos geprägten Leben wie meinem kann man sich jetzt gut vorstellen, wie ich am Steuer meines eigenen Wagens sitze und auf der Suche nach einem Abstellplatz stundenlang vergeblich durch unser Quartier cruise, wobei ich abwechselnd vor Wut ins Lenkrad beiße oder Flüche ausstoße, die auf einen bedauerlichen Mangel an Kinderstube schließen lassen.

Ich habe auch tatsächlich zum 18. Geburtstag das Geld für den Führerschein geschenkt bekommen. Nur hat es sich schon ein halbes Jahr später in das Budget für neue Möbel verwandelt. Neben Fußball gibt es nämlich so gut wie nichts, was meinem Wesen so fern ist wie selber am Steuer eines Autos zu sitzen. Es interessiert mich einfach nicht. Ich bin sechsundvierzig Jahre wunderbar ohne Führerschein ausgekommen, und es ist nicht abzusehen, dass sich da jemals was dran ändert. Ich habe alle Erlebnisse mit Autos ausschießlich als Beifahrer gehabt.

Aber über den Anblick, als vor unserem Haus im besagten Szeneviertel wegen Baumarbeiten sämtliche Parkplätze frei waren, habe ich mich trotzdem gefreut. Denn das Taxi, das mich bei dem Sauwetter an jenem Tag zum Bahnhof gefahren hat, konnte für die paar Sekunden zum Einstieg direkt vor unserer Haustür halten.

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