Wie man sich bettet…

aus der Reihe ›Urlaub in den 70ern und 80ern‹

Unsere erste Ferienwohnung hätte heute keine Chance mehr auf dem Tourismusmarkt. Unter dem Etikett ›Kleinstbungalow‹ angeboten, befand sich das Gebäude mit insgesamt vier ähnlich ausgestatteten Apartments auf dem Hinterhof eines zweistöckigen Hauses, in dem die Vermieterin ihre höherwertigen Unterkünfte anbot. Die vielleicht fünfzehn, maximal achtzehn Quadratmeter messenden Einheiten, vier Stück an der Zahl, bestanden jeweils aus einem einzigen Zimmer, im Grunde hatten sie den Grundriss einer Garage, die an der hinteren Stirnwand ein großzügig bemessenes Fernster besaß.

Vorne gab es ein Fenster, das gerade groß genug war, um eine Flasche Bier hindurch zu reichen, und daneben die Eingangstür. Sie war der in Norddeutschland weit verbreiteten Klöntür nachempfunden, man konnte also die obere Hälfte des Türflügels öffnen, der dann die Funktion eines Fensters erfüllte, während der untere Teil verschlossen blieb. In heißen Sommern fanden besonders junge Familien diese Türen sehr praktisch, denn so konnte man ausgiebig lüften und gleichzeitig verhindern, dass der unternehmungslustige Nachwuchs sich in einem unbeobachteten Moment auf einen Zug durch die Nachbarschaft begab. Optisch war dem Ganzen eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Reihe Boxen eines Pferdestalls nicht abzusprechen, die von dem sandigen Vorplatz noch betont wurde. Es fehlte eigentlich nur noch jemand, der mistgabelweise Heu durch die Öffnungen war.

Das Innere bestand aus einem einfachen Linoleumboden, die Wände waren weiß gestrichen. Die Ausstattung war bescheiden. Sie bestand aus zwei Stühlen und einem kleinen Esstisch. Ein weiterer Tisch bot Platz für einen zweiflammigen Gaskocher, die zugehörige Gasflasche stand direkt daneben. Einen Kühlschrank gab es nicht. Deswegen war es opportun, mit einer leistungsfähigen Kühlbox anzureisen und vor allem ausreichend Kühlelemente mitbringen, die man in zwei Chargen aufteilte und täglich wechselnd zur Vermieterin brachte und wieder abholte, die zu diesem Zweck in ihrem Keller einen Wirtschaftsraum eingerichtet hatte, in dem ein altersschwacher Kühlschrank vor sich hinbrummte. Dieser Gang war meist Muddi und Omma überlassen. Damals herrschte noch weitgehend die alte Rollenteilung, nach der sich auch in den Ferien die Frau um alles Hauswirtschaftliche kümmerte, während der Herr des Hauses jeden Tag am Strand die Luftmatratze aufpumpte und vor allem dafür Sorge trug, dass sich zu An- und Abreise das Auto in einwandfreiem Zustand präsentierte.

Den meisten Platz in dem Kleinstbungalow, denn Muddi und Paps mit mir belegten, beanspruchten der schon etwas wurmstichige Kleiderschrank und das Etagenbett, die vermutlich beide aus den Restbeständen einer aufgegebenen Kaserne stammten.

Das Etagenbett war ein wenig anheimelndes, dafür robustes Metallgestell, das zumindest für den Benutzer der oberen Koje die letzte sportliche Herausforderung des Urlaubstages darstellte. Wenn Paps sich abends dort zur Ruhe begab, bog die Matratze sich bedenklich durch, obendrein ächzte und quietschte die ganze Konstruktion wie ein altersschwaches Schiff auf seiner letzten Reise. Zum Glück waren meine Eltern ruhige Schläfer, die sich nur selten umdrehten, sonst hätte das Ganze in einem atonalen Konzert für die ganze Nacht geendet.

Omma und Opa wohnten ähnlich, nur hatten sie ein richtiges Ehebett mit Schubladen darunter. Dafür hatten sie keinen Kleiderschrank, und es gab Platz für einen kleinen Beistelltisch, auf dem Oppa den mitgebrachten tragbaren Fernseher abstellen konnten.

Fernseher gehörten in den 70ern und bis in die 80er hinein bei weitem nicht zur Grundausstattung einer Ferienwohnung. Es war die Zeit, in der wir mit drei Programmen auskamen, weil sich unser Leben nicht so intensiv um die Glotze drehte wie heute. Je nach persönlichen Präferenzen schaute man um neunzehn Uhr heute im ZDF oder eine Stunde später die Tagesschau in der ARD, gelegentlich sogar beides – damit hatte man zwei Seiten einer Neuigkeit gehört, damit fühlte man sich dann umfassend informiert. Fernsehen als Unterhaltung nahm nur beschränkte Zeit in Anspruch, entsprechend besonnen suchte man sich seine bevorzugten Sendungen aus. Es gab genügend anderen Zeitvertreib und im Urlaub kam man auch mal zwei Wochen ganz gut ohne die Flimmerkiste aus.

Wer dennoch nicht darauf verzichten mochte, quartierte sich entweder in einem Hotel beziehungsweise einer Ferienwohnung der oberen Preisklasse ein. Pensionen hatten meist nur einen Gemeinschaftsraum, was die individuelle Gestaltung der Fernsehzeit noch mehr einschränkte als die bereits erwähnte Auswahl von nur drei Programmen. Wer einen goldenen Mittelweg suchte, stiefelte gleich nach Ankunft zum Elektrohändler im Ferienort, um dort für die Urlaubsdauer einen Fernseher zu mieten. Das Geschäft boomte!

Alle anderen brachten ihre tragbaren Fernseher von zuhause mit. So manche Wahl für eine Ferienwohnung fiel und stand damit, ob der Angebotstext im Vermieterprospekt über den Zusatz »Ein Fernsehgerät kann mitgebracht werden!« verfügte. Omma wird bei der Buchung peinlich genau auf diesen Zusatz geachtet haben, denn ohne seine Versorgung mit Fernsehnachrichten konnte Oppa seinen Urlaub nicht genießen. Obendrein war die große Samstagabendshow Fernsehhochamt für ihn – außer, wenn Einer wird gewinnen lief, denn er konnte Hans-Joachim Kulenkampff partout nicht ausstehen. Um der Wahrheit ins Auge zu sehen: Was man nicht versteht, mag man meist genau deswegen nicht, und Oppa konnte mit der intelligenten Eloquenz von ›Kuli‹ einfach nicht mithalten.

Anders als heute, wo ein Knopfdruck genügt, damit sich der Fernseher von selber alle Sender sucht und zuschauerfreundlich einrichtet, war die Sendersuche damals eine komplizierte Sache, die viel Fingerspitzengefühl und Geduld erforderte, um die Schieberegler oder Drehknöpfe punktgenau auf die richtige Frequenz einzustellen. Diese Aufgabe fiel Papps zu, denn der galt als vom Fach. Nun besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einem tragbaren Urlaubsfernseher und dem werktäglichen Umgang mit starkstromgetriebenen Industriekrananlagen, aber Oppa gehörte noch zu einer Generation, für die alles, was mit Elektrik und Elektronik zu tun hatte, ausnahmslos unter einen Hut gepackt werden konnte. Deshalb war sein Schwiegersohn der einzig geeignete Kandidat für diese wichtige Aufgabe. Das hinderte Oppa allerdings nicht daran, seine durch keinerlei Sachkenntnis getrübten Ansichten zur korrekten Einstellung des Fernsehers kundzutun: »Du musst den Knopf ein bisschen vorsichtiger drehen.« – »Die Antenne musst du aber musst du noch ein bisschen mehr ausziehen.«

Paps hörte sich das alles schweigend an, nickte zustimmend – und zog ungerührt sein Ding durch.

Für mich selber war in den Kleinstbungalows übrigens kein Platz vorgesehen, deswegen saß ich bei den Mahlzeiten immer bei irgendjemandem auf dem Schoß. Folglich gehörte zu unserem Gepäck auch ein klappbares Kinderbett, das jeden Abend neu aufgebaut und am nächsten Morgen als allererstes wieder zusammengefaltet und mangels geeigneter Lagerfläche zur Dunkelhaft im Kofferraum von Opas Auto verbannt werden musste, sonst hätte sich niemand in unserer Behausung bewegen können.

Über ein jeweils eigenes Bad verfügten die vier Kleinstbungalows ebenfalls nicht. Am Ende der Reihe weißer Wohnungstüren mit Milchglasfenstern gab es zwei weitere, die ganz aus Holz waren. Hinter einer lag die gemeinschaftlich zu teilende Dusche, hinter der andern das WC. Im Sommer bei dauerndem Sonnenschein und lauen Nächten eine einfache Angelegenheit. Problematisch wurde es erst, wenn der Wetterbericht einen Temperatursturz und drei Tage Dauerregen ankündigte oder bei Urlauben später im Jahr, wenn es allgemein kälter wurde. Dann kostete der nächtliche Toilettengang, für den man nicht nur das kuschelige Bett verlassen musste, sondern das ganze Apartment, um im kalten Nachtwind zur der weiß gekachelten Örtlichkeit gelangen, einige Überwindung und wurde so lange wie möglich hinausgeschoben.

Alles in allem lebten wir in unserem Urlaub eine lebendige Erinnerung an die bescheidenen Neuanfänge des deutschen Tourismus nach dem zweiten Weltkrieg. Wir waren froh, überhaupt in den Urlaub fahren zu können, und stellten keine übertriebenen Ansprüche. Anfang und Mitte der 1970er gab es noch viele solcher Unterkünfte in dem kleinen Kurort an der Ostsee, erst allmählich setzte sich ein gehobener Standard durch. Bestehende Unterkünfte wurden aus- und umgebaut, schicke neue Bungalows entstanden, und am anderen Ende des Ortes wurde sogar ein achtstöckiges Hochhaus mit hochmodernen Apartments hochgezogen. Vielleicht hätte sich auch bei unserem Kleinstbungalow noch etwas getan, wenn unsere Vermieterin sich nicht altersbedingt in den Ruhestand zurückgezogen hätte. Das Geschäft mit der Touristik wurde aufgegeben, der Sohn zog mit seinem Steuerberatungsbüro in die Räume – und wir mussten uns für weitere Urlaube eine andere Unterkunft suchen.


Außerdem in dieser Reihe:

Komm kein bisschen mit nach Italien – Die Suche nach einer geeigneten Unterkunft

Schiff ahoi! – Warum das „Butter“ in „Butterfahrten“ nicht so wirklich passend war.