Erwischt!

OLYMPUS DIGITAL CAMERAManchmal möchte man so gerne versinken. In den smaragdrünen Augen des Fremden, der einem in der Straßenbahn gegenübersitzt. In einem heißen Schaumbad nach einem langen Tag. Im neuen spannenden Krimi, obwohl man genau weiß, dass man eigentlich eine ganzen Korb voll Hemden zu bügeln hätte. Oder einfach im Boden, weil einem etwas so richtig peinlich ist.

Gestern Abend traf letzteres zu. Ich war nämlich gerade dabei, mein Guilty Pleasure zu genießen – also jenes kleine Geheimvergnügen, das man mit allen Mitteln vor der Welt verbirgt -, als meine Nachbarin klingelte. Alles durfte sie mitkriegen, nur das nicht. Also schnell den Verstärker der Stereoanlage ausgeschaltet, der CD-Player konnte auch stumm weiterlaufen. Leider muss ich in der Hektik den Knopf wohl versehentlich zweimal gedrückt haben, denn kaum hatte ich der Nachbarin die Tür geöffnet, waren diese zehn Sekunden vorüber, die das System des Verstärkers braucht, um wieder hochzufahren, und meine Nachbarin hörte, wie das Wohnzimmer mit der Stimme von Audrey Landers erfüllt wurde. Audrey Landers!!! Ich spürte, wie ich puterrot wurde.

Als die Nachbarin zehn Minuten später wieder weg war, kam ich mir ziemlich albern vor. Gut, Frau Landers‘ Songmaterial bei Ariola war ziemlich übel, weil quasi deutscher Schlager mit englischen Texten (nur das eine Album auf WEA – und genau das hatte ich gehört – war annehmbarer 80er-Jahre-Pop, weil von den selben Produzenten zusammengestellt, mit denen damals auch Jennifer Rush arbeitete). Und wenn sie live auftrat, hampelte sie wie eine Marionette aus der Augsburger Puppenkiste. Aber sie war im Gegensatz zu anderen Soap-Sternchen aus Dallas und Denver, die vors Mikrophon gezerrt wurde, die einzige, die wirklich singen konnte, und ich mag ihre Stimme heute noch, dreißig Jahre später.

Trotzdem hat es immer irgendetwas Anrüchiges, wenn man zugibt, Frau Landers zu hören. So wie alle Guilty Pleasures etwas Anrüchiges haben. Aber warum eigentlich? Für gewöhnlich sind sie doch ganz harmlos. Zum Beispiel kiloweise Dominosteine von Weihnachten bunkern, um sie auch im Sommer genießen zu können (Bevor böse Gerüchte aufkommen: Nein, das ist keins meiner Guilty Pleasures, ich mag das ganze Weihnachtsgedöns überhaupt nicht!). Jemand anders zeichnet seit Beginn an alle Folgen von Reich und schön auf (DITO!!!!). Alles ganz harmlos, und trotzdem wird es so geheim wie möglich gehalten.

Wahrscheinlich ist es der Reiz, etwas zu tun, das vielleicht nicht verboten ist, aber das zumindest nicht von jedermann goutiert wird. Diese Verlockung, gegen Regeln zu verstoßen, und seien es nur die des guten Geschmacks. Dazu der Reiz, möglicherweise dabei erwischt zu werden. Und jedesmal, wenn wir unser geheimes Vernügen unbemerkt durchgezogen haben, ist da auch ein Triumph wie beim Juwelendieb, der die Polizei überlistet hat.

Irgendwie macht das doch Spaß, also tun wir es – bis wir erwischt werden. Dann ist es uns erstmal entsetzlich unangenehm. Hinzu kommt eine gewisse Enttäuschung, denn plötzlich ist das geheime Vergnügen kein geheimes Vergnügen mehr, weil es jetzt einen Mitwisser gibt. Das Guilty hat sein Pleasure verloren.

Genauso ging’s mir gestern auch. Obwohl noch acht Lieder auf dem Album von Frau Landers übrig waren, hatte ich plötzlich gar keine Lust mehr, es zu Ende zu hören.

Aber ich habe mir gleich Gedanken gemacht, welche musikalischen Jugendsünden es noch gibt, die ich für gewöhnlich unter strengstem Verschluss halte. Bin auch prompt fündig geworden.

Was es ist?

Verrat ich nicht.