Ausnahmezustand

Die Stille war gespenstisch, kein Mensch zu sehen. Kein Auto fuhr, kein Hund bellte, nicht mal ein eScooter rollte sirrend vorbei. Die Nachbarschaft war wie ausgestorben. Viele hatten das Haus erst kurz vor der Deadline um acht Uhr verlassen, andere hatten die Gelegenheit genutzt und waren schon am Sonnabend oder gar am Freitag in einen Wochenendurlaub aufgebrochen.

Am vergangenen Sonntag herrschte Ausnahmezustand bei uns im Quartier. Weiterlesen

Mehr Platz für Kinder

Es gibt immer wieder Dinge, die einen fassungslos den Kopf schütteln lassen.

Da bauen Menschen neben einer befahrenen Bahntrasse ein Häuschen – und klagen dann gegen die Bahn, weil die es doch tatsächlich wagt, ihre Züge weiterhin fahren zu lassen.

Ganz berühmt ist auch diese Geschichte aus Amerika, wo jemand ein Café verklagt hat, weil niemand ihm dort gesagt hat, dass heißer Kaffee heiß serviert wird und man sich übel verbrühen kann, wenn man sich das Zeug über die Beine kippt.

Am traurigsten finde ich immer, wenn zu lesen ist, dass wieder mal jemand erfolgreich gegen einen Sportplatz, eine Schule oder einen Kindergarten geklagt hat, so dass die Kinder von dem Ort, der doch eigentlich für sie gedacht war, verschwinden müssen. Diese Leute wissen ja gar nicht, was sie sich da selber verwehren. Gibt’s ein schöneres Zeichen von Vitalität und Lebensfreude als das Getöse spielender Kinder? Weiterlesen

School’s out…. NICHT

Man vergisst ja so schnell… Gestern morgen war ich richtig irritiert, als ab etwa zehn nach sieben der morgendliche Geräuschpegel in der Nachbarschaft erheblich anschwoll. Ein Geschreie, ein Gejohle, ein Gerenne von etwas, das sich wie hunderttausend Schuhe mit Schmirgelpapier unter den Sohlen anhörte.

Morgenmuffelig, wie ich nun mal bin, schwankte ich mit zu 3/4 geschlossenen Augen zum Schlafzimmerfenster, machte es dicht und wankte dann in die Küche. Ohne ausreichenden Koffeinspiegel im Blut ist man ja nur ein halber Mensch!

Mit dem ersten Kaffee in der Hand setzte ich mich auf den Balkon und vergaß den Radau erstmal wieder. Ein paar Stunden später, beim täglichen Telefonat mit meiner Schwester, fiel’s mir wieder ein und der Schleier der Verwirrung lüftete sich. Natürlich! Weiterlesen

Großstadtmomente

In letzter Zeit hadere ich immer häufiger mit unserem Viertel: Mehr und mehr Luxussanierungen mit anschließenden exorbitanten Mieterhöhungen, das ehemals so bunte Publikum wird immer hipsteriger (keine Ahnung, ob es das Wort so gibt – wenn nicht, habe ich es soeben erfunden).

Vielleicht liegt es auch gar nicht am Viertel oder der neuen Klientel. Es könnte auch sein, dass es mit meinem Alter zusammenhängt. Nein, es folgt jetzt keine der hinreichend bekannten klagen, dass früher alles besser war. Erstens ist das Humbug, und zweitens versuche ich eigentlich immer die positiven Seiten des Älterwerdens herauszukehren. Die Rolle des Zynikers, der einem Kind den bunten Ball wegnimmt, um ihm die Schlechtigkeit der Welt zu verdeutlichen statt ihrer guten Seiten, liegt mir nicht.

Im Grunde weiß ich gerade selbst nicht so recht, worauf ich eigentlich hinaus will. Weiterlesen

Modeläden

20141110-2Nun wohne ich ja schon eine ganze Weile mit meinem Mann in der Stadt an der Emscher. Obendrein in einem der gefragtesten Quartiere, und wir haben schon so einiges an Moden hier gesehen. Nein, nicht Plünnen, Kledaasche, Couture oder Klamotten – wie immer man es nennen will -, sondern welche Art von Ladengeschäft gerade en vogue ist. Man kann da einen regelrechten „Takt“ beobachten: In Jahr 1 macht irgendein Pionier mit seiner Geschäftsidee den Anfang, in Jahr 2 und 3 steigt die Zahl der Läden, die diese Geschäftsidee auch verfolgen, sprunghaft an, bis in Jahr vier allmählich der Niedergang beginnt und die ersten Läden wieder verschwinden. Dieses Jahr 4 ist dann gleichzeitig Jahr 1 für die nächste neue Idee

Zuerst fiel mir die extrem hohe Rate an Putzbüddeln (Friseuren) auf – jede Straße schien schon ihren eigenen Laden zu haben, als ich herkam, und es wurden trotzdem immer noch mehr.

Diese wurden aber dann doch weniger und es machte eine Pizzeria nach dem anderen auf. Das war auch der langlebigste Trend. Wann immer mein Mann oder ich nach Hause kam und berichtete „Der ________-Laden in der ________-Straße hat dicht gemacht“ kam die Antwort: „Ach, brauchen wir wieder ’ne neue Pizzeria?“ Es war die Pest. Warum bekamen wir nicht mal ein indisches oder skandinavisches Restaurant? In unserem kosmopolitschen und aufgeschlossenen Quartier wäre das wirklich mal eine echte Marktlücke gewesen.

Es folgten Caféhäuser, Einrichtungsläden, Waschsalons und so weiter. Selbst von den an manchen Ecken des Potts schon totgesagten guten alten Kiosks erlebten wir für eine Weile eine echte Schwemme. Bis die ersten wieder verschwanden und von jeder Sorte nur noch ein, zwei Läden mit unerschütterlich treuer Stammkundschaft überleben konnten.

Der neueste Trend sind Änderungsschneidereien, der allerdings jetzt schon wieder von Burger-Restaurants ohne Großkettenanschluss abgelöst wird, kaum dass er richtig begonnen hat.

Die Pizzerien (oder auch Döner- und Gyrosbuden) mal ausgenommen – futtern geht bekanntlich immer. Aber bei all den anderen Dingen will sich mir diese Nachahmer-Mentalität nicht erschließen. Es ist doch seit Urzeiten ein Gesetz von Angebot und Nachfrage, dass letztere irgendwann erschöpft ist, wenn ersteres im Überfluss da ist. Und dann setzt das Sterben ein.

Wenn in einem Quartier X einer Stadt also bereits zehn Läden für Idee Y vorhanden sind, obwohl das schon drei zuviel sind, warum tue ich es mir dann an, mich noch mit meinem elften Laden dazwischen zu quetschen? Verspricht der Kuchen der Gentrifizierung wirklich so viel, dass er so blind für die Gefahren macht, die entstehen, je später man sich einem Trend anschließt? Oder ist es Gedankenlosigkeit? Schauen sich die Leute in dem Quartier, in dem sie ihren Laden eröffnen wollen, vorher nicht genügend um? „Oh, da ist ein leeres Ladenlokal. Ziehen wir da doch mit unserer Tintentankstelle ein“ – dabei schön ignorierend oder gar nicht erst bemerkend, dass es drei Häuser weiter längs bereits eine gibt. Ist denn niemand da, der diese ambitionierten, ihren großen Traum leben wollenden, spannenden Menschen warnt und sagt, „Lass es hier lieber sein – hier gibt’s zuviel davon. In ’nem anderen Viertel hast du viel größere Chancen“??? Kein Banker, kein Immobilienmakler, kein Berater für Existenzgründer?

Man weiß es nicht. Schade nur um all jene, die am Ende ihren großen Traum begraben müssen, weil er von den Gesetzen der Gentrifizierung und der Mode aufgefressen wurde.