Klartext

„Russenpeitsche“ – diesen recht alten Ausdruck hört man dieser Tage öfter. Dass er in den letzten Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten ist, hat zweifelsohne an einem Mangel an passender Situationen gelegen, ihn zu benutzen. Wobei ich mich immer automatisch an das angewiderte Gesicht meines Großonkels erinnern muss, wenn das Wort dann während meiner Kindheit in den 70ern und 80ern wirklich mal gefallen ist. Weiterlesen

Eigene Blödheit

Es gibt Tage, da muss ich echt an meiner Selbstdisziplin arbeiten. Damit meine ich noch nicht mal die alltäglich zu meisternden Muss-Aufgaben. Klar, ich bin auch nur ein Mensch und als solcher weit entfernt davon, perfekt zu sein. Doch wenn man mal etwas vergisst, wie morgens auf dem Weg nach draußen den Müll mit runter zu nehmen und man das dann Abends, wenn man eigentlich nur noch aufs Sofa will, nachholen muss, fährt man am besten damit, den Blick fürs Weite zu zeigen. Nur nicht ins Bockshorn jagen lassen.

Am meisten kommt die Selbstdisziplin – oder besser der Mangel daran – mir in die Quere, wenn ich anderen was Gutes tun möchte. Ich freue mich dann so auf die (hoffentlich) große Freude der anderen, dass ich es irgendwann nicht mehr aushalten kann. Als Folge stelle ich irgendetwas an, mit dem ich die Überraschung sabotiere und mich selbst zur kürzesten Verbindung zwischen zwei Fettnäpfchen mache.

So geschehen gestern: Weiterlesen

Einfach schön

Es bedarf eigentlich kaum der mindestens einmal pro Woche im Fernsehen verbreiteten Nachrichten – der Blick aus dem Fenster reicht für gewöhnlich vollkommen aus: Mutter Natur ist ziemlich aus dem Takt geraten. Vor ungefähr vierzehn, fünfzehn Jahren war es drei Tage vor Heiligabend noch so warm, dass ich in T-Shirt und Sommersakko zum Umtrunk nach der letzten Schicht gegangen bin. Meine Kollegen und ich waren auf dem Weihnachtsmarkt dann auch weniger an Reibeplätzchen mit Apfelmus, Backkartoffeln mit Sauerrahm oder Poffertjes mit heißem Eierlikör interessiert, sondern daran, in den für die Jahreszeit ungewöhnlich gut besuchten Eisdielen noch einen Tisch für zehn Leute zu ergattern. Es war ein Winter, in dem die Besitzer der Besäufnisstände erwogen, die Glühweinkesseln gar nicht erst von unten anzuheizen, sondern viel eher Eiswürfel von oben hineinzuwerfen. Weiterlesen

Schneeflocken auf Jamaica

Flanken. Dieses Wort war mir bislang hauptsächlich in Zusammenhang mit der Anatomie von Pferden geläufig, und auch bei einer ganz anderen Sportart spielt es wohl eine Rolle, aber da bin ich mangels Interesse und Sachkenntnis außen vor.

Ich wage mal die tollkühne Vermutung, dass das neuerdings aus der Welt der Mode zu uns schwappende Verb „Flanking“ aus dem Wort „Flanken“ abgeleitet ist – wahrscheinlich als Kürzel für „die Flanken zeigen“ oder so. Auch wenn die, wenn ich mich richtig an den Biologie-Leistungskurs erinnere („Moin, ihr Kadetten!“ – unsere Lehrerin wäre besser in einer Marineakademie aufgehoben gewesen), eher am Torso eines Säugetiers zu finden sind. Weiterlesen

Wetterphänomen

„… und ich sach noch so für’m Jupp: Datt is bestimmt dieset El Niño in Schuld!“ – „Nee, Elsbett, dat hamse neulich ers in Fernsehn gesacht, dat is vorbei. Dat gibt schon wat neuet, dat nennt sich La Niña.“ – „Dat is doch dat gleiche!“ – „Nee, isset nich.“ – „Isset wohl.“ – „Nee, isset echt nich. Dat sind zwei ganz verschiedene Sachen. Sacht ja auch schon der Name: Niño issen Kerl aus Spanjen und Ninjas kommen aus Japan!“ – „Ach, Marjanne, dat is doch völlich egal, wie dat gezz heißen tut. Et is bloß zum Kotzen, wie dat mitte Wetterphänomene immer schlimmer wird. Kerlo-kiste, watten Scheiß gestern mit den ollen Schnee!“

Für einen Moment überlege ich, die beiden Ruhrpottgrazien da vor mir an der Supermarktkasse aufzuklären, dass es für den gestrigen Schneefall eine ganz einfache Bezeichnung gibt. Nämlich April.

Aber dann lasse ich es. Lieber genieße ich das kostenlose Entertainment so früh am Morgen – es ist einfach zu drollig, wie sie sich kabbeln…

Zwei Beobachtungen…

20141027-01

… bei einem kurzen Besorgungsgang downtown:

1. Auf dem Marktplatz wird bereits wieder der größte Weihnachtsbaum der Welt das alljährliche Riesen-Adventgesteck aufbaut. Es geht auf Weihnachten zu.

2. Es ist Ende Oktober, die Sonne scheint, wir haben 19° und ich bin ohne Jacke, dafür aber im T-Shirt unterwegs.

Die zweite Beobachtung ist mir die eindeutig sympathischere.

Zu dir oder zu mir?

????????????????Wenn ich an einem Morgen mitten im Oktober wach werde, mir die Bettdecke zuviel ist, ich völlig verschwitzt bin und tierische Kopfschmerzen habe, dann ist der Grund dafür weder leidenschaftlicher Matratzen-Mambo noch eine durchzechte Nacht noch eine heftige Erkältungsattacke. Mein Mann hat lediglich die Heizsaison eröffnet.

In nichts sind mein mir Angetrauter und ich so inkompatibel wie im winterlichen Heizverhalten. Ich vermute, dass ich irgendwo einen Polarfuchs im Stammbaum sitzen habe oder mein wahres Sternzeichen Eisbär, Aszendent Pinguin ist. Mir reicht nämlich eine Zimmertemperatur von etwa 17, 18 Grad Celsius in der Bude vollkommen aus. Wenn mir doch mal kalt ist, ziehe ich einfach dickere Plünnen über. Was natürlich etwas widersprüchlich ist, wenn man bedenkt, dass ich im Sommer erst bei Shorts-Flipflops-T-Shirt-Wetter mit Temperaturen ab 25 Grad so richtig aufblühe. Doch in freier Abwandlung von Lady Grantham aus Downton Abbey: „I’m a gay, and I can be as contrary as I choose.“

Wie dem auch sei, ich hasse künstlich von der Heizung erwärmte Luft wie die Pest. Ich komme mir dann immer vor, als würde man mich in eine Zwangsjacke stecken, die jemand aus auf doppelte Leistung gepimpten Heizdecken zusammengeklöppelt hat.

Anders mein Mann, dem kann es gar nicht muckelig genug sein. Wenn’s nach ihm ginge, würde unsere Heizung den Winterreifen folgen – aktiv von O bis O, von Oktober bis Ostern.

Dank so konträrer Bedürfnisse geht es bei uns schon mal recht frostig zu, selbst wenn das Thermometer anderes behauptet.

Die verschiedenen Bedürfnisse bei der Raumtemperatur haben natürlich auch Auswirkungen auf die Körpertemperatur. Behauptet zumindest mein Mann. Und so muss ich nach sechzehn Jahren in einer gemeinsamen Wohnung tatsächlich immer noch das Zu dir oder zu mir-Ritual durchlaufen, das doch eigentlich nur Bestandteil der ersten zwei, drei Dates ist:

„Kommst du noch zu mir zum kuscheln?“ – „Kuscheln ja, aber bestimmt nicht in deinem Kühlhaus. Und erst recht nicht, wenn unter der Bettdecke deine Füße warten, mit denen du Sauerkraut schockfrosten kannst!“

Pure Einbildung! Kein Zweifel möglich. Ich meine, wenn mir nicht kalt ist, wie kann ich da kalt sein? ‚N büschen frisch vielleicht…

Inzwischen haben wir die Sache ein wenig geregelt: Mein Zimmer, in dem mein Schreibtisch und mein Bett stehen, wird nur dann geheizt, wenn ich es will (also so gut wie gar nicht), im Rest der Wohnung ist mein Mann der Gebieter über die Thermostate an den Heizkörpern. Da soll noch mal einer behaupten, die wahre Macht in einer Familie liegt bei dem, der die Kontrolle über die Fernsehfernbedienung hat.

Es weihnachtet sehr…

Wenn wir uns in etwa drei Monaten dazu entscheiden, Judy Garlands Have Yourself a Merry Little Christmas zu spielen (oder das Radio uns Last Christmas aufnötigt), ist das jahreszeitlich angemessen. Schließlich ist der 30. November in diesem Jahr auch der Tag, an dem wir die erste Kerze auf unserem Adventkranz anzünden.

Als diese Aufnahmen zum allerersten Mal erklungen sind, kann dem nicht so gewesen sein. Ein Blick auf diverse Webseiten verrät, dass etwa Doris Day ihr Silver Bells am 17. Juni 1964 aufgenommen hat, und Connie Francis hat für White Christmas am 23. August 1959 im Studio gestanden. Mitten im Sommer also. Wenn alle Welt Eis am Stiel lutscht, in Flip-Flops rumläuft, Ventilatoren Hochsaison haben und abends im Bett selbst ein hauchdünnes Laken aus feinster Seide viel zu warm ist. Ich habe Frau Day und andere Künstler immer dafür bewundert, wie sie es trotzdem geschafft haben, dass ihre Weihnachts-LPs sich hinterher anhörten, als wären sie im Rollkragenpullover vor einem knisternden Kaminfeuer aufgenommen worden, während sich draußen vor der Berghütte der Neuschnee auftürmt.

Mir will das nämlich nicht so recht gelingen. Keine Panik! ich strebe keine neue Karriere an, bei der ich die Welt mit meinem Gesang (andere nennen es Hyänengeheul) beglücken werde.

Aber ich stecke im selben Vorbereitungsdilemma: Das Schreiben meiner Geistergeschichte Das Nebelschiff hat solche Freude bereitet, dass zur Weihnachtszeit eine weitere erscheinen soll, natürlich saisonal eingefärbt. Dafür muss ich sie erst einmal schreiben. Doch an Schneefall, Gänsebraten und heißen Eierpunsch zu denken ist schwerer als gedacht, wenn man selbst in Shorts rumläuft und Getränke aus dem Kühlschrank schlürft.

Vielleicht hätte ich eher damit beginnen sollen. Noch am Montag und Dienstag war das Wetter kalt und unfreundlich genug. Seit gestern ist das Thermometer wieder auf über zwanzig Grad hochgeschnellt, der Himmel ist blau, die Sonne strahlt. Da möchte ich lieber von einer Bootsfahrt auf der Elbe schreiben statt darüber, wie eine emsige Köchin bei höheren Herrschaften eine prächtig gefüllte Gans in die Bratröhre schiebt.

Mein Mann ist auch keine Hilfe. Gerade kam er vom Grünhöker wieder und brachte mir ein dickes Stück Wassermelone an den Schreibtisch und verkündete, dass es zum Mittagessen eine Bickbeerenkaltschale* gibt.

Das ist glatte Sabotage.

* Bickbeeren = Heidelbeeren. Greetings to Austria!

Spezialität des Hauses

Als bekennender Nicht-Bejubler von Schnee freue ich mich natürlich, dass in diesem Winter noch nicht ein einziges Flöckchen gefallen ist. Die kurzen Joggingplünnen werde ich nach meiner aktuellen Erfahrung zwar wirklich frühestens im April wieder auspacken, aber trotzdem finde ich die bei zehn bis vierzehn Grad liegenden Temperaturen gar nicht so schlecht. Leider bin ich scheinbar nicht der einzige – in der Nacht zu Altjahrsabend war ich nämlich das FlyIn-Restaurant für zwei Mücken, dabei haben diese Viecher derzeit doch eigentlich keine Saison! Hat sie aber trotzdem nicht davon abgehalten, blutrünstig über mich herzufallen.

Ist mir erst gar nicht aufgefallen; ich hab‘ die Stiche nur gesehen, aber nicht gespürt. Doch nachdem mein Körper in den letzten Tagen alle Antikörper voll zu tun hatte, sich um die Erkältung zu kümmern, hat er seit heute wieder vollständig die Zeit, sich anderen Aufgaben zu widmen. Angriffslustig verteidigt er sein Revier, hat in dem Mückenspeichel aber einen formidablen Gegner gefunden. Es juckt ganz entsetzlich, und in der Apotheke haben sie schön blöd geguckt, als ich so völlig außerhalb der üblichen Zeit ein Mittel gegen Insektenstiche haben wollte.

Ist ohnehin merkwürdig – über drei Jahre schon habe ich gar keinen Mückenstich mehr gehabt, und jetzt auf einmal zwei so heftige? Entweder sind die Miststücke ganz besonders ausgehungert und stürzen sich auf alles, was sie kriegen können, oder mein Blut gilt aufgrund des weihnachtlichen Zuckerrauschs für die hier logierenden Mücken im Moment als Spezialität des Hauses.

Jedenfalls nervt die Juckerei ungemein, und bevor ich nochmal zum warmen All the blood you can drink-Buffet erklärt werde, wäre es vielleicht doch nicht ganz so schlecht, wenn wir jetzt einen echten kleinen Wintereinbruch mit knackekalten Temperaturen bekämen…