Diese Kurzgeschichte habe ich vor Ewigkeiten zum familieninternen Amüsement geschrieben, weil sie alle schon mal mitbekommen haben, wie hemmungslos mein Mann
schacherthandelt. Eigentlich ist es schade, dass unser Reisefieber uns nicht zu den einschlägigen Destinationen mit riesigen Bazaren lockt, auf denen sich Otto und Lieschen Normalverbraucher einmal wie in den orientalischen Geschichten von Karl May fühlen und auf Teufel komm raus handeln können – mein Mann würde so manches gebrochene Händlerherz zurücklassen…
Als mein Mann sich rechten Oberschenkel zwischen Sitzfläche und Seitenlehne einquetschte, war endgültig klar: Wir brauchen ein neues Sofa. Nach über zwanzig Jahren hatte es sich ein ruhiges Begräbnis auf dem Abfallentsorgungshof aber auch wirklich verdient.
Besagtes Möbel war mit zwei passenden Sesseln ursprünglich Teil einer riesigen Garnitur, die sich meine Großeltern angeschafft hatten. Aus heutiger Sicht war es ein scheußliches Ding: Cremefarbener Nickistoff, der obendrein noch rillenartig wie Cord verarbeitet war. Aber das Ensemble war von höchster Qualität, denn Omas und Opas kaufen bekanntlich keinen Schund, und „was nix kostet, taugt auch nix.“
Als meine Großeltern sich entschieden, eine neue Sofagarnitur anzuschaffen, wanderte die alte in mein Elternhaus. Einen Sessel bekam ich in meine Bude, der zweite Sessel und das Sofa wanderten in das Zimmer meiner Schwester.
Dann zog meine Schwester aus, meine Mutter requirierte das alte Kinderzimmer für sich („Ich will endlich mal einen Raum für mich alleine haben, und damit meine ich nicht die Küche!“) und übernahm das Sofa nebst Sessel, zu denen sich auch noch der meine gesellte, als ich selber auch aus dem Nest türmte.
Ungefähr zwei Jahre später war meine Mutter das altmodische Ding leid, und weil beim Sofa meines Lieblingsmenschen – mit dem ich inzwischen zusammengezogen war – der Bezug durchgescheuert war, uns aber für ein fabrikneues Sofa einfach das Geld fehlte, wechselte das alte Sofa von Oma und Opa ein weiteres Mal den Besitzer.
Ein unbestreitbarer Vorteil dieses Teils war, dass man es mit wenigen Handgriffen zur Bettstatt umwandeln konnte. Das war auch bitter nötig, da mein Mann seit kurzem Nacht für Nacht die Ehrenwürde als mein Lieblingsmensch gegen den weniger schmeichelhaften Titel Hausfriedensfeind Nummer 1 eintauschte, denn sein Schnarchen brachte das Geschirr in den Schränken zum Klirren und mich um den Schlaf. Getrennte Nachtlager mussten her.
Bei uns leistete das Sofa dann noch einmal rund drei Jahre lang treue Dienste, bis es schließlich mit einer fast abgebrochenen Seitenlehne und einer bis auf das Holzgestell durchgelegenen Sitzfläche seine Altersschwäche und damit verbunden den Wunsch nach Außerdienststellung signalisierte.
In den folgenden Wochen klapperten wir die Möbelhäuser in der näheren und weiteren Umgebung ab. Das neue Sofa hatte schließlich hohe Ansprüche zu erfüllen. Es sollte modern aussehen, dabei aber bequem sein, und es sollte möglichst lange allnächtlich als Bett fungieren können, dabei nicht teurer als achthundert Euro sein. Wir merkten schnell, dass wir nach den Sternen griffen, und unsere Suche schien ewig zu dauern.
In einem riesigen Möbelhaus stießen wir irgendwann doch auf ein Sofa, das alle Kriterien zu erfüllen schien. „Wir sind uns also einig?“ fragte ich, nachdem wir unsere Wahl eingehend besprochen hatten.
„Wir sind uns einig“, bestätigte mein Mann.
„Gut, dann kann ich ja in die Caféteria gehen. Komm einfach nach, wenn du fertig…“
„Hiergeblieben, Freundchen!“ Er packte mich am Schlafittchen. „Du bleibst schön hier!“
Ich stöhnte. Ich wollte einfach nicht. Seine Auftritte bei größeren Anschaffungen waren mir schon immer peinlich gewesen. Der Mann schachert mit einer Kaltblütigkeit, bei der eine Kommission zur Aushandlung eines neuen Flächentarifvertrages neidisch würde. Vor allem, weil er immer ans Ziel kommt!
Der Verkäufer, an den wir uns schließlich wandten, tat mir vom ersten Moment an leid. Ich schätzte ihn auf etwa zweiundzwanzig, er konnte also gerade erst mit der Ausbildung fertig geworden sein. Er hatte von vornherein keine Chance. Er wusste es nur noch nicht.
Zu dritt zogen wir uns in eine kleine Büroecke zurück. Mein Mann nahm wie ein zufriedener Buddha auf einem der uns angebotenen Sessel Platz.
Nachdem wir die Bezüge für das Sofa als solches und die zugehörigen Zierkissen ausgesucht hatten, fing der junge Mann an zu rechnen. „Das macht dann als Endpreis“ – flink flogen die Finger über die Taschenrechnertastatur – „eintausenvierhundertneunundneunzig Euro.“
„Nein.“
„Wie bitte?“
„Nein“, wiederholte mein Mann. „Auf ihrer Ausstellungsfläche steht das Sofa für achthundertneunundneunzig Euro.“
„Das ist richtig, aber diese Ausführung verfügt über einen ganz anderen Stoff.“
„Das mag sein, aber die Differenz von sechshundert Euro ist mir ein wenig zu hoch. Da muss sich doch noch etwas an dem Preis machen lassen, oder?“
„Tja, ich weiß nicht.“ Der junge Mann kratzte sich am Kopf. „Das muss ich nochmal durchrechnen.“
„Dann sind sie doch bitte so freundlich und erledigen das.“
Ich wusste nicht, ob hysterisch werden, abhauen oder meinem Lieblingsmenschen einfach eine scheuern sollte. Diese Arroganz trieb mich die Palme hoch! Bei solchen Verhandlungen saß nie der Mensch neben mir, in den ich mich vor ein paar Jahren unsterblich verknallt hatte. Das war die Fleischwerdung von Dr. Jekyll und Mr. Hyde!
Der junge Mann rechnete wieder. „Hm“, sagte er schließlich grübelnd, „also, um hundert Euro könnte ich noch heruntergehen.“
„Das ist nicht ihr Ernst? Sie wollen mir wirklich weismachen, dass der Preisunterschied zwischen dem Stoff des Vorführmodells und dem Stoff, den wir uns ausgesucht haben, selbst mit einem Rabatt immer noch fünfhundert Euro beträgt?“
Mein Mann lehnte sich auf seinem Sessel zurück. Was jetzt noch fehlte, war eine völlig verfettete schneeweiße Perserkatze auf seinem Schoß, die er erst mit einer stark beringten Hand betont gelangweilt streicheln und anschließend mit dem abgeschnittenen Ohr des Verkäufers füttern würde.
Ich lehnte mich auch auf meinem Sessel zurück, oder besser: Ich versuchte, so tief wie möglich in den Polstern zu versinken!
„Es tut mir leid, mein Herr.“ Langsam bildeten sich Schweißtropfen auf der Stirn des Verkäufers. Noch eine Viertelstunde, und es würde Blut sein. „Aber unsere Preise sind so knapp kalkuliert…“
„Tja, dann müssen wir wohl oder übel in einem anderen Möbelhaus vorstellig werden.“ Mein Lieblingsmensch (?) erhob sich. Wenn er jetzt wie in einer altmodischen Schnulze „Komm, Liebes“ zu mir sagen sollte, würde ich mich vergessen!
„Warten Sie, warten Sie.“ Der Verkäufer wurde hektisch. Da war ein Beutefisch im Begriff, davon zu schwimmen. Nur war ihm nicht klar, dass er selber der Matjes war und der Hai ihm dicht auf den Fersen – äh, Flossen. „Ich denke, wir können da doch noch etwas regeln.“
Nach weiteren zwanzig Minuten hatte Uli den Preis für das Sofa auf tausendneunundneunzig Euro gedrückt. Der Verkäufer wirkte erleichtert. Er ahnte nur nicht, dass der Spaß jetzt erst richtig anfing. Kurz bevor mein Lieblingsmensch seine Unterschrift unter den Kaufvertrag setzen wollte, zog er nämlich die Hand wieder zurück. „Ach ja“, sagte er, „wir müssen uns ja noch über die Lieferung und die Entsorgung des alten Sofas unterhalten.“
„Sehr gerne.“ Der Blick des Verkäufers signalisierte das Gegenteil. Er würde drei Kreuze schlagen, sobald wir verschwunden waren. „Die Lieferung kostet dreißig Euro, und für die Entsorgung des Altsofas berechnen wir noch einmal fünfzig Euro.“
„Wohl kaum.“
„Wie bitte?“
„Ich habe gerade ein Sofa für über tausend Euro in Auftrag gegeben. Bei einer solchen Summe sind Anlieferung und Entsorgung sicher doch inklusive, oder?“
„Tut mir leid, mein Herr, aber das geht nun wirklich nicht.“
„Gut.“ Uli schob den Kaufvertrag ununterschrieben über den Tisch und erhob sich. „Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“
Jetzt verlor der Verkäufer endgültig die Contenance. „Wie… also… Sie können doch jetzt nicht einfach gehen?“
„Junger Mann“ – o, wie ich das hasste, wenn er den väterlichen, aber strengen Kumpel heraushängen ließ! – „wir werden uns doch offenbar nicht einig. Sie wollen mir Lieferung und Entsorgung in Rechnung stellen, ich will es nicht bezahlen. Warum sollten wir dann noch weiter diskutieren?“
Mich verließen die Nerven. Der junge Mann tat mir so leid! Ich schoss aus meinem Sessel hoch, murmelte etwas von „muss mal wohin“ und verschwand auf der Toilette. Als ich nach einer Zeit, die selbst für ein etwas größeres Geschäft entschieden zu lang war, wieder in die Verkaufsräumlichkeiten zurückkehrte, kam mein Mann mir mit zufriedenem Grinsen entgegen.
„Du hast es mal wieder geschafft?“ Es war mehr Feststellung als Frage.
„Natürlich! Tausendneunundneunzig Euro, all inclusive. Mach mal deinen Rucksack auf.“
Folgsam zog ich am Reißverschluss, er warf eine kleine Flasche durch die Öffnung.
„Was ist das?“
„Ein Reinigungsmittel für das Sofa.“
Ich zog die Flasche noch einmal hervor. Der Preisaufkleber zeigte vierundzwanzig Euro neunundneunzig.
„Jetzt sag nicht, das hast du auch noch umsonst abgestaubt?“
„Klar doch.“
Ich kann mich heute noch nicht auf dem Sofa niederlassen ohne mich zu fragen, ob der arme, geschundene Verkäufer nach unserem Besuch nicht sofort eine Umschulung zum Leichenkosmetiker beantragt hat. Deren Kunden sollen ja für gewöhnlich recht schweigsam sein.
© für diese Geschichte 2007 – 2014 by Gerrit Jan Appel. Alle Rechte vorbehalten. Handlung, Namen und Personen sowie deren Charakterbeschreibungen sind rein fiktiv und weder nach realen Personen und Ereignissen geformt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen und Ereignissen wäre rein zufällig.