Frühstück hui, Mittagessen pfui

Reisetagebuch 2018 – Teil 3

Hamburg – Dienstag, 14.08.2018 – frühmorgens im Hotel

Fünf Uhr dreißig. Man muss schon ziemlich bescheuert sein, um im Urlaub so früh aufzustehen. Oder was Tolles vorhaben.

Hab ich auch. Und dazu gehört ein gut fünf Kilometer langer Spaziergang durch das frühmorgendliche Hamburg. Ich bin dann mal weg.

gegen 14:00 Uhr

Mal abgesehen davon, dass das Käsebrötchen unverschämt teuer war, ist es auch geschmacklich ein Reinfall. Eigentlich brauche ich heute gar kein Mittagessen, aber weil draußen gerade ein wahrer Platzregen runterpladdert, brauchte ich einen temporären Unterschlupf, und selbst in einer Bäckerei mit schnöden Stehcafétischen wird es nicht gerne gesehen, wenn man nur doof rumsteht ohne was zu verzehren. Wie dem auch sei – dieses Brötchen ist eine Beleidigung für meinen Gaumen nach der frühmorgendlichen Schlemmerei auf dem Isemarkt: Dinkelbrötchen, die ersten frischen Äpfel der Saison aus dem Alten Land, die letzten frischen Erdbeeren der Saison aus der Lüneburger Heide, großartiger Kaffee aus einer regionalen Rösterei, dazu die Düfte von Kräutern, den Gemüseständen, den Ständen der Blumenhändler mit Lupinen, Hortensien, Margeriten und Studentenblumen, dazu würziger Käse, frisch aufgeschnittene Wassermelonen, Tee,… Besser kann man nicht frühstücken.

Auf dem Isemarkt, dem…

Ich mag diesen Markt sehr. Er ist familiär, er ist intim und großstädtisch zugleich.   Am Rand sitzt ein Akkordeonist und spielt einen französischen Musettewalzer. Zusammen mit dem Viadukt der U3, das den Markt wie ein Dach überspannt, entsteht ein Feeling, das an das Marktviertel. Les Halles in Paris denken lässt. Und natürlich auch an den Montmartre.

Die Atmosphäre ist leicht wie eine Feder im Sommerwind. Man kommt überhaupt leicht mit anderen Menschen ins Gespräch – nicht nur für unverbindliches Bla-bla über das Wetter oder den Blasenkatarrh des preisgekrönten Königspudels von Familie So-und-so. Mit einem sehr sympathischen Ehepaar – nennen wir sie Herr und Frau Hansen, auch wenn sie in Wahrheit ganz anders heißen – diskutiere ich fast eine halbe Stunde lang sehr intensiv über das aktuelle Chaos im Hamburger Nahverkehr durch den Ausfall der S3/S31 zwischen Hamburg Hauptbahnhof und Harburg. Es dauert nicht lange, bis wir den Hamburger Nahverkehr mit dem im Ruhrpott vergleichen, und mein Bericht, dass dort die S-Bahnen nur im 20-Minuten-Takt verkehren, erntet wie immer in einer echten Großstadt ungläubig aufgerissene Augen. „Wie soll eine Region denn da den Strukturwandel hinbekommen, wenn sie nicht mal in der Lage ist, ihre Berufspendler vernünftig von A nach B zu kajohlen?“, fragt Herr Hansen irgendwann, und ich kann nichts anderes tun, als ihm zustimmen. Als ich erwähne, dass der Takt ab dem nächsten Fahrplanwechsel auf immerhin fünfzehn Minuten verkürzt wird, sagt Frau Hansen lakonisch: „Und wir regen uns hier auf, wenn eine Bahn mal Verspätung hat.“

Ich grinse verlegen. In diese Falle tappe ich auch regelmäßig. Wenn man sich erstmal an einen Takt von fünf Minuten oder in der Rush Hour sogar nur drei bis vier Minuten gewöhnt hat, neigt man zum Jammern auf hohem Niveau, wenn’s mal sechs Minuten dauert…

Währenddessen rattert alle zwei Minuten die U3 auf ihrem Viadukt über uns hinweg und erinnert uns genau daran, dass es immer Orte gibt, an denen der ÖPNV deutlich schlechter ist.

… (nicht nur) für mich schönsten Markt in Hamburg

Als ich den Isemarkt irgendwann verlasse, verabschiedet sich in einiger Entfernung gerade eine etwa zehnjährige Deern von ihrem Großvater und fährt mit ihrem Fahrrad los. Mangelnde Balance gleicht sie durch erhöhtes Tempo aus. Der Großvater ruft noch hinterher: „Du sollst nicht immer so jagen! Du fährst ja noch die Leute um.“ Als ich auf gleicher Höhe mit ihm bin, werfen wir uns wissende Blicke zu: Waren wir zu fraglichen Zeit anders?

Mit der U3 fahre ich von der Kellinghusenstraße zur  Hamburger Meile, jenem riesigen Einkaufzentrum in der Nähe der Mundsburg im südlichen Barmbek. Ich kann mich kaum noch erinnern, wann ich zuletzt hier war – Shopping im Dunstkreis des Jungfernstiegs und der Mönckebergstraße ist um so vieles bequemer. Ich weiß nur noch, dass ich beim letzten Mal verdammt viel Geld ausgegeben habe, weil ich in den ganzen Plünnenläden ziemlich zugeschlagen habe. Heute bleibt das Portemonnaie zur Dunkelhaft in der Tasche verbannt. Eine neue Brille habe ich im Februar erst bekommen, beim Putzbüddel bin ich am Freitag vor der Reise noch rasch gewesen, mit meinem Mobilfunkanbieter bin ich zufrieden, und aus der hier angeboten Mode bin ich regelrecht rausgewachsen. Mit den Jeans für dürrbeinige Störche zwischen Konfirmation und Abitur kann ich einfach nichts anfangen – ich brauche solche, um die strammen Waden eines täglichen Laufsport betreibenden Mittvierzigers zu kleiden!

Nur in dem Geschäft einer dänischen Kette für Einrichtungs- und Haushaltsbedarf könnte ich schwach werden, doch wie soll ich die Küchenstühle, die mir so ausnehmend gut gefallen, bloß in meinen Koffer bekommen?

Vielleicht sollte ich doch noch den Führerschein machen? Tünkram! Ich bin die ersten fünfundvierzig Jahre meines Lebens ohne die „Pappe“ ausgekommen, warum jetzt noch die Kohle dafür rauswerfen?

Nach der Hamburger Meile war ein Spaziergang von dort bis zur Hochbahnstation Hudtwalckerstraße in Winterhude angedacht, ein Weg von gut vier Kilometern. Gekommen bin ich bis zum Südzipfel der Uhlenhorst, wo bereits erwähnter Platzregen mich in diese wirklich schlechte Bäckerei getrieben hat.

Kurzer Blick nach draußen. Gott sei Dank, das pladdert nicht mehr. Ich habe das Käsebrötchen fast aufgegessen und ich will definitiv nicht noch eins kaufen. Dafür sind die Sachen hier einfach zu schlecht. Der Kaffee ist auch furchtbar. So habe ich mir immer die dünne Plörre aus Kriegszeiten vorgestellt, wenn ein und derselbe Kaffeesatz bis zu viermal aufgegossen wurde, wie meine Großmütter immer erzählt haben. Bloß weg hier.

gegen 19:00 – in Planten un Blomen

Vorhin habe ich erstmal auf der Mönckebergstraße die Mitbringseleinkäufe erledigt, bevor ich sie vergesse. Für meinen Mann habe ich ein tolles grenadinefarbenes T-Shirt erstanden. Das passt gut zu den Klamotten, die er im September zum Standestamt anziehen will. Dieses Jahr begehen wir unser 20-10: Zwanzig Jahre zusammen, zehn Jahre verpartnert. Wie kann man das besser feiern als mit einem Umschreiben der Partnerschaft in die Ehe für alle, und das mit einer kleinen Zeremonie, bei der wir obendrein unser Ja-Wort erneuern? Eigentlich sollte es ja am 10. September stattfinden, dem Tag, an dem wir 2008 die Lebenspartnerschaft begründet haben, doch da waren leider alle Termine schon vergeben. Jetzt wird’s halt der 11. September. So wird dieses Datum wenigstens für uns künftig mit einer schönen Erinnerung verbunden sein und nicht mehr nur mit jenem verstörenden Tag, als man bei dem Attentat auf das World Trade Center live zusehen konnte.

Einkäufe ins Hotel gebracht, dann zum Bahnhof Dammtor. Eben weil ich auch in diesem Urlaub wieder nebenbei Material für ein neues Romanmanuskript sammele, muss ich auch mal wieder ein paar Vor-Ort-Recherchen betreiben, und Dammtor soll im aktuellen Manuskript vorkommen.

Danach geht’s zu Planten un Blomen rüber. Oder doch nicht? Da kommt vielleicht ein fettes schwarzes Wolkenband angerauscht!

Hui… Da kommt’s aber ganz schön dicke!

Das sieht echt ungemütlich aus. Rasches Abwägen der Optionen: Dichtgedrängt bei anderen Cowboys zu sitzen und mich von Whisky wärmen zu lassen scheidet aus (Warum muss ich ausgerechnet an die von meiner Mutter „geerbte“ Platte Geisterreiter von Kenneth Spencer denken?). Türmen wäre auf jeden Fall die einfachste Wahl. Bin ja noch am Stephansplatz. Der Jogger, der mich gerade überholt, gibt den Ausschlag. Nicht wegen seiner strammen Waden oder des muskelbepackten Oberkörpers, der in einem sexy Tank Top steckt (hey – die Augen sind immer ledig!), sondern wegen seines Hundes. Der sieht genau so aus wie mein Sammy selig, und der konnte gar nicht genug davon kriegen, bei Regen unterwegs zu sein. Und ich auch nicht.

Alea jacta est: Ich spaziere durch Planten un Blomen –  komme, was da wolle. Der botanische Garten und die sich daran anschließenden Wallanlagen sind eben dem Friedhof Ohlsdorf und dem Jenisch-Park meine liebste Grünfläche in Hamburg. Entspannung, Hanseaten-Style: Lesen, joggen, flanieren, sich an den verschiedenen Gestaltungslandschaften erfreuen oder sich einfach mit dem besten Freund den beliebten Hummel-Sessel lümmeln und diskret schnacken. Alles gaaaanz sinnig un suutje.

Wasserspiele bei Planten un Blomen

Ich glaube, die Gelassenheit in dieser Stadt liegt auch an den vielen Grünflächen und dem relativ respektvollen Umgang mit ihnen. Jedenfalls habe ich hier noch nie Wildgrillen auf alten Gräbern erlebt oder Ghettoblaster, die bis weit in die Nacht hinein dröhnen.

Neben meiner eigenen Gelassenheit verspüre ich allerdings inzwischen vor allem Müdigkeit, weswegen ich auch auf dieser Bank bei dem Brunnen auf dem Sievekingplatz gelandet bin. Werde langsam mal zur Feldstraße rüberdackeln und in die U3 steigen. Ob ich an den Landungsbrücken für einen Dämmerspaziergang am Hafen aussteige oder gleich das Haus ansteuere, in dem ein saubequemes Boxspring-Bett auf mich wartet, entscheide ich dann spontan.

Bin dann doch noch mal am Hafen längs. Dicke Pötte gehen immer!

 

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