Frühling, Sommer, Herbst und Winter

Nee, was fliegt die Zeit vorbei. Mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich die ersten Maiglöckchen geplückt habe, und jetzt sind schon wieder die ersten Türen der Adventskalender geöffnet. Nicht mehr lange und wir sind durch mit dem Jahr. Manche Dinge bleiben wie immer – Muttertag ist am zweiten Sonntag im Mai, Heiligabend ist am vierundzwanzigsten Dezember und so weiter. Es gibt aber auch ziemlich viel, das sich ändert. Beim Menschlichen, zum Beispiel: Alte Menschen gehen, Säuglinge werden geboren.

A propos alt und jung. Man sagt ja, dass ein menschliches Leben an ein Jahr erinnert: Deine Kindheit ist wie der Frühling, deine Jugend und das mittlere Alter sind der Sommer, dann kommt irgendwann der Herbst, und wenn du dich alt und müde auf deinen Weg über die Regenbogenbrücke machte, bist du in einem Winter angekommen.. Ist ja nicht ganz falsch, diese Vorstellung. Auch in deinem Leben gibt es Dinge, die immer gleich bleiben. An deinem Geburtstag ändert sich nichts. Weihnachten feierst du am selben Tag wie alle anderen.

Es gibt aber auch genug, das sich ändern kann. Dein Geschmack, zum Beispiel. Zumindest manchmal. Bei mir gibt es einen Geschmack, der wird sich nie mehr ändern. Wenn ich Grünkohl bloß rieche, muss ich kotzen – auf drei Meter ohne Trichter in eine Flasche, wie man bei uns auf’m Dorf sagt. Ich kann das auch gar nicht verstehen, wie so viele Leute ganz verrückt nach etwas sind, das wie eine vollgekackte Kinderwindel richt.

Ober egal, es gibt auch einige Geschmäcker, die sich bei mir verändert haben. Als Kind bin ich vor Tomaten weggelaufen wie der Vampir vorm Knoblauch. Und dann, mit sechzehn, sind meine Eltern eines Tages zum Einkaufen gegangen, beim Rausgehen sage ich ohne jede Vorwarnung zu ihnen: „Könnt ihr mir ein paar Tomaten mitbringen?“ Sie haben das erst für einen Scherz gehalten, doch es ist mein nackter Ernst gewesen. Seit diesem Tag sind Tomaten mein Lieblingsgrünzeug.

Oder Sauerkraut. Als Jugendlicher habe ich mit meiner Mutter eine Wette abgeschlossen: Wenn ihr Lieblingsfußballverein Schalke 04 jemals Deutscher Meister wird, esse ich freiwillig eine große Portion Sauerkraut. Tja, es ist bekannt, dass ich meinen Wetteinsatz bis heute nicht eingelöst habe. War ja nicht nötig. Trotzdem esse ich nun Sauerkraut – im Frühjahr 2017 ist es einfach so über mich gekommen wie damals die Tomaten. Ist bloß ein Jammer, dass meine Mutter das nicht mehr miterleben konnte.

So etwas hatt es über die Jahre immer wieder mal gegeben, dass sich mein Geschmack vom Negativen ins Positive gedreht hat. Oder genau andersrum. Gerade vorgestern ist mir wieder was Neues augefallen. Mein Mann ist mit einem seiner Freunde in unserer Nachbarstadt auf einem kleinen Weihnachtsmarkt gewesen und hat dort ein bisschen Süßkram gekauft: Rapshonig, Blaubeermarmelade, Holundersaft – und ein bisschen Weihnachtsgebäck. Bisher hat mir das nie etwas ausgemacht, aber als er dann gestern wieder zuhause gewesen ist und den Beutel den Spekulatius, Dominosteinen und Pfeffernüssen aufgefriemelt hat – wisst ihr, was da passiert ist? Ich bin reihern gegangen wie beim Grünkohl! Boah, dieser ekelige Geruch nach Lebkuchengewürz, Zimt und Anis hat mir dermaßen die Galle ans Zäpfchen gehauen, das glaubt ihr nicht.

Ich hab‘ das zuerst für einen einmaligen Zwischenfall gehalten, aber gestern auf dem Weihnachtsmarkt hier in Dortmund ist es mir wieder passiert Um den Grünkohl haben wie einen Bogen gemacht, weil es bloß ein oder zwei Stände damit gibt. Aber vor dem Lebkuchengewürz gibt es kein Entrinnen! So flau im Magen habe ich mich nicht mal gefühlt, nachdem ich als Teenager zum ersten Mal so richtig besoffen gewesen bin! Ich bin noch nie wirklich ein Fan von Lebkuchen gewesen, aber dass es mal soweit kommen sollte, habe ich auch nicht gedacht: Ich kann das Zeug nicht mehr ab! Aber so gar nicht! Allein der Gedanke! Igittigittpfuideibelbäh!

Ich schimpfe ja immer so über diesen neuodischen Kram wie frische Erdbeeren an Weihnachten, Grillen an Heiligabend oder Rotkohl im Sommer, weil ich es einfach doof finde, sich nicht an die Jahreszeiten zu halten. Aber jetzt, wo sich mit meinem eigenem Altern mein Geschmack so komich verändert, denke ich, dass das vielleicht doch nicht so schlecht ist.

Wisst ihr was, Kinners? Ich glaube, dieses Jahr bringe ich in der Advents- und Weihnachtszeit einfach Sommersachen auf den Tisch und nichts, was auch nur vage an Weihnachten erinnert. Dänische Koldskål, Obstsalat mit Ananas und Mango, gemischter Salat mit Sommergrünzeug. Und zu Heiligabend mache ich meinen Lieblingseintopf, den meine Oma immer zwischen Mai und September gekocht hat: Stielmus! Zum Nachtisch gibt es Holunderkuchen!

Ich esse das gern, das bedeutet keinen Stress für meine Nase und es birgt keine Gefahr, dass irgendetwas davon nach Lebkuchen riecht.

Jawoll, so gefällt mir das! So mache ich das!

Oh.

Da fällt mir gerade was ein.

Houston, wir haben ein Problem.

Ich bin ja nicht alleine bei mir zuhause..

Ich muss mir ganz schnell was einfallen lassen, wie ich das meinem Mann verkaufen soll!